Effektivität von Sprachcomputern bei schwerer Aphasie und Apraxie. Ein Fallbeispiel

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Bachelor-Arbeit von Lisa Ziebuhr

Patienten nach einem Schlaganfall erleiden schwere Störungen der Sprache und Kommunikation. Viele der Betroffenen sind auf die Versorgung mit alternativen und unterstützenden Hilfsmitteln angewiesen. Allerdings besteht bislang ein Mangel in der konkreten Versorgung dieser Patientengruppe, welcher in erster Linie auf fehlende Evidenzen über die Effektivität von Sprachcomputern bei schwerer Aphasie und Apraxie zurückzuführen ist.

Im Rahmen einer Bachelor-Arbeit an der Hochschule für Gesundheit Bochum wird im Oktober 2013 eine Einzelfallstudie zur aktuellen Thematik durchgeführt. Die Einzelfallstudie soll aufzeigen, ob Betroffene mit schwerer Aphasie und Apraxie die Kompetenz besitzen, einen Sprachcomputer intentional anzusteuern. Konkret wird die Verbesserung des auditiven Sprachverständnisses sowie eine mögliche Steigerung der Lesefähigkeit mittels Talker überprüft. Die Ergebnisse werden in Zusammenhang mit dem aktuellen Gesundheitssystem gebracht.

Für die Einzelfallstudie wird ein 55-jähriger Patient mit schwerer Aphasie und Apraxie mit einem LightTalker und dem Anwendungsprogramm „Quasselkiste 15+4“ der Firma Prentke Romich GmbH ausgestattet. Die „Quasselkiste 15+4” ist die kleinste Version der Minspeakprogramme. Sie umfasst eine Oberfläche von 15 Feldern. Weiterführend enthält das Programm tiefergreifende Ebenen, die zusätzliches Vokabular bereithalten. Mit der „Quasselkiste 15+4“ ist es dem Nutzer möglich, etwa 200 Aussagen zu produzieren. Der LightTalker findet vorwiegend in der Kindertherapie Anwendung, steht im konkreten Fall allerdings zu einer ersten Erprobungsphase für den Patienten zur Verfügung.

Für die Methodik der Einzelfallstudie wird das Studiendesign eines A-B-A-Schemas genutzt. Eine A-Phase stellt in der Forschung eine Erhebungsphase ohne Intervention dar. Sie wird auch als Baseline bezeichnet. Die Phase B steht für eine Erhebungsphase mit Intervention, die auch Interventionsphase genannt wird. Das A-B-A Schema bietet die Möglichkeit, Aussagen über die Wirksamkeit einer Intervention zu treffen. Es findet eine Interventionsphase von 10 Therapieeinheiten à 45 Minuten statt, in denen der Patient 14 alltagsrelevante Items einübt und diese mittels LightTalker benennen soll. Um einen möglichen Generalisierungseffekt zu überprüfen, werden 14 weitere vergleichbare ungeübte Items hinzugezogen. Der Patient erhält neben der Intervention Aufgaben zum häuslichen Üben. Diese lassen in der Auswertung eine Aussage über die mögliche Anbahnung von Vokabular außerhalb der Therapie zu. Die Auswertung der Studie erfolgt nach quantitativen und qualitativen Kriterien.

Die Auswertung der Ergebnisse zeigt deutlich, dass Betroffene mit schweren apraktischen und aphasischen Störungen durchaus in der Lage sind, eine elektronische Kommunikationshilfe zu nutzen. Der Patient benennt in der Auswertung sowohl geübte als auch ungeübte Items und verfügt nach der Intervention aufgrund des eingetretenen Generalisierungseffektes über einen Wortschatz von 30 Wörtern. Die Anbahnung von neuem Vokabular über Hausaufgaben gelingt problemlos. Diese Erkenntnis spart hinsichtlich des aktuellen Mangels in der Versorgungsstruktur von Menschen mit Kommunikationshilfen wertvolle Therapiezeit. Die Apraxie des Patienten stellt hinsichtlich des Benennens kein Hindernis im Umgang mit dem LightTalker dar. Im Bereich des auditiven Sprachverständnisses kann der Patient seine Leistungen um 10,3% verbessern. Die Lesefähigkeiten des Patienten verbessern sich quantitativ nicht, weisen aber eine Steigerung im qualitativen Bereich der geübten Items auf. Im konkreten Fallbeispiel korreliert die Lesefähigkeit folglich mit der Speicherkapazität des Gehirns für Schriftbilder. Für stark betroffene Patienten kann die Anbahnung zum Lesen alltagsrelevanter Wörter allerdings wichtig und gewinnbringend sein.

Insgesamt bedarf das Gesundheitssystem nach den Erkenntnissen der Einzelfallstudie einer Anpassung in Bezug auf die technologische Versorgung von neurologisch erkrankten Patienten. Der Einsatz des Talkers erhöht neben der Verbesserung sprachlicher Fähigkeiten das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität eines Patienten maßgeblich. Das Fachgebiet der Unterstützten Kommunikation hat demnach den Anspruch, in den Heilmittelkatalog integriert zu werden.

Literatur:
Johnson, R. K., Hough, M. S., King, K.A., Vos,P., Jeffs, T. (2008). Functional Communication in Individuals with Chronic Severe Aphasia Using Augmentative Communication. Augmentative and Alternative Communication, 24 (4), 269-280.

Gülden, M., Babst, J. (2008). Handbuch „Quasselkiste 15+4 für den LightTalker“. Kassel: Prentke Romich GmbH.

Nonn, K. (2011). Unterstützte Kommunikation in der Logopädie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.

Heilmittel-Richtlinie und Heilmittelkatalog. Mit ICD-10 Zuordnungen, Komponenten der ICF und Vorab-Praxisbesonderheiten (5.Auflage). (2011). Flensburg: Buchner.

Minfo 03-2014