Für Katrin Menkhoff aus Aachen hat sich die Chance ergeben zu helfen. Über die Vermittlung ihrer Tochter hat sie ein Seminar mit dem Therapieschwerpunkt Unterstützte Kommunikation in Sankt Petersburg (Russland) gehalten. Lesen Sie von ihrem internationalem Engagement:
Über ein Lebensjahrzehnt habe ich als Logopädin für die Lebenshilfe Aachen in einer heilpädagogischen Kindertagesstätte mit dem Therapieschwerpunkt Unterstützte Kommunikation gearbeitet und mein Wissen in Workshops weitergegeben.
Unsere Tochter absolviert zurzeit über die evangelische Kirche im Rheinland einen freiwilligen Friedensdienst in Sankt Petersburg in Russland für den russischen Verein Perspektivy. Die Organisation möchte die Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Menschen mit Behinderung verbessern. Unsere Tochter arbeitet dort im Psycho-Neurologischen Internat PNI 3. Dies ist ein großes staatliches Heim, welches ca.1000 Menschen beherbergt. Das Projekt heißt Peterhof, denn das PNI liegt nur unweit des berühmten Schlosses mit gleichem Namen. Perspektivy engagiert sich vor allem auf 2 Stationen mit eigenen Pädagogen und eben den freiwilligen Helfern. Betreut werden junge Menschen ab 18 Jahren mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen, die bereits ihr ganzes Leben im Heim verbringen. Dies ist in Russland immer noch die Regel.
Im Blog und manchmal per Skype haben wir als Eltern die Arbeit unserer Tochter mit ihren sieben Schützlingen, alles junge Männer, die sich ein Zimmer teilen, verfolgt. Als feststand, dass wir Mitte Mai 2016 zu Besuch kommen würden, häuften sich die fachlichen Fragen an mich seitens unserer Tochter. Denn keiner ihrer Schützlinge kann ausreichend über Lautsprache kommunizieren. Durch diesen Austausch ist die Idee entstanden, dass ich während des Urlaubs in St. Petersburg für die Pädagogen von Perspektivy ein Seminar halten könnte.
Unsere Tochter hat die Freiwilligen Koordinatorin vom Projekt um die Organisation vor Ort gebeten. Mir rauchte derweil in Aachen der Kopf. Wie schreibe ich meine Unterlagen passend um? Was kann ich an einem Nachmittag vermitteln, wenn noch Zeit für den Dolmetscher benötigt wird? Wie kann ich trotz der Sprachbarriere praktische Übungen einbauen? Nachdem die Präsentation umgeschrieben war, kam die nächste Hürde. Wo finde ich schnell eine Person, die mein Fachchinesisch ins Russische übersetzt und dies möglichst ehrenamtlich? Elena Matygina, die bilingual aufgewachsen ist, hat die Herausforderung angenommen, so dass ich Anfang Mai die erste Version meiner Power Point Präsentation plus Handout Richtung Perspektivy abschicken konnte.
Dann habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich eigentlich UK Mittel anschaulich präsentieren kann, ohne etwas in den Händen zu halten. Wie sollte ich die Mitarbeiter motivieren, wenn sie eh keine Materialien haben? Kurzerhand habe ich eine Mail an PRD geschrieben und mein Vorhaben erklärt, da ich im beruflichen Kontext jahrelang mit der Firma positive Erfahrungen gemacht hatte. Noch am selben Morgen kam von Frau Siebert aus der Geschäftsstelle die freundliche Antwort, völlig unkompliziert und herzlich. Man wolle mir einen Step-by-Step und einen GoTalk9+ in sehr gutem gebrauchten Zustand spenden. Zwei Tage später landete in gewohnter Qualität von PRD das tolle Paket bei mir. Perfekt verpackt, mit mehreren Ersatzbatterien und einer lieben Karte mit Reisewünschen. Dadurch beflügelt habe ich dann noch Annette Kitzinger um eine Spende für eine DVD-Rom mit Metacom Symbolen gebeten, um Zeigetafeln erstellen zu können und den Talker zu bestücken. Bei Frau Kitzinger stieß ich ebenfalls auf offene Ohren, kurze Zeit später bekam ich per Post sogar zwei Exemplare der DVD-Rom METACOM7. Im letzten Schritt habe ich die UK Beratungsstelle Köln über Frau Schellen um Mithilfe gebeten. Mir wurden ein Kommunikationsordner und mehrere Tafeln gespendet. Zu Hause hat mein Mann noch einen Taster plus Batterieunterbrecher selbst gebaut, um einen batteriebetriebenen Spielzeughund ansteuern zu können.
Voll bepackt und aufgeregt ging es so Richtung Mai für 14 Tage nach St. Petersburg. Die Schönheit der Millionenstadt, St. Petersburg ist die viertgrößte Stadt Europas und nur 2,5 Flugstunden von Frankfurt entfernt, hat uns tief beeindruckt. Kunst, Kultur und Geschichte begegnen einem auf Schritt und Tritt. Es ist aber auch eine Stadt der Gegensätze, arm und reich, modern und altmodisch.
Am 24.5. war es dann so weit. Vom Stadtzentrum haben wir uns morgens mit Metro, Elektrischka und Bus auf den Weg zum Heim gemacht, ca. 30 km außerhalb von St. Petersburg. Dort startet der Dienst der freiwilligen Helfer um 10 Uhr morgens. Vormittags sind wir auf der Arbeit unserer Tochter einfach mitgelaufen. Der Besuch hat uns sehr berührt und beschäftigt uns immer noch. Es fehlt an so vielen Dingen! In den Schlafräumen oder in den Fluren gibt es eigentlich keinerlei Beschäftigung für die Menschen. Perspektivy leistet dort wertvolle Arbeit. So gibt es ein Art-Studio für Kunstprojekte, eine Musiktherapeutin und diverse Beschäftigungsangebote wie zum Beispiel Ausflüge. Am Tag unseres Besuchs war traumhaftes Wetter. Dennoch konnten wir nicht viele junge Männer mit nach draußen in die Sonne begleiten. Es gab schlichtweg nicht genug Rollstühle.
Ich hatte keine Zeit meine Eindrücke zu verdauen, denn nach dem Mittagessen war das Seminar angesetzt. Teilnehmer waren die Pädagogen vom Verein Perspektivy und alle freiwilligen Helfer, darunter auch ein junger Mann aus Russland, der so freundlich war, mir in der Mittagspause den Step-by-Step und die verschiedenen Ebenen des GoTalks auf Russisch zu besprechen. Pünktlich erschien Anna Tschernawskaja, meine Dolmetscherin. Sie ist nicht nur mit dem Thema Unterstützte Kommunikation vertraut, sondern spricht auch fließend Deutsch. Sie hat perfekt übersetzt, was für mich persönlich eine großartige Erfahrung war. Das Seminar hat mir große Freude bereitet, denn alle Teilnehmer waren aufmerksam und interessiert. Mir wurde in den praktischen Übungen und den Diskussionen schnell klar, dass ich es mit Vollprofis zu tun hatte. Es tauchten bekannte Themen auf, unter anderem dass das Material möglichst nichts kosten dürfte, aber auch Gedanken, die mit der Lebenssituation der Menschen im Heim zu tun haben. Zum Beispiel, wie schaffe ich Auswahlmöglichkeiten zwischen zwei Dingen, wenn der Bewohner weder das Essen noch die Farbe eines Pullovers wählen darf. Ich war am Ende des Seminars glücklich, die vielen Spenden dort lassen zu dürfen. Alle Schätze sind nun im PC Raum gelagert. Durch meine Tochter habe ich erfahren, dass eine Pädagogin versucht, mehr Hilfsmittel für die UK zu organisieren, eine Freiwillige übt Gebärden mit einem Schützling und der Talker kommt wohl in der Computer AG mit den Bewohnern zum Einsatz.
Vielleicht ist im PNI 3 dank Perspektivy nun ein Grundsteinchen für die UK gelegt. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Menschen bedanken, die diesen Workshop durch ihr Zutun ermöglicht haben und die unbürokratisch gespendet haben! Vielleicht liest eine interessierte Kollegin, die russisch spricht, diesen Bericht und hat Lust im PNI ein logopädisches Praktikum zu absolvieren. Dort ist noch echter Pioniergeist gefragt. Fragen zum Projekt oder zum Freiwilligendienst beantworte ich gerne per Mail. Informationen gibt es vor allem auch auf der Website der deutschen Partnerorganisation Perspektiven e.V.
katrin.menkhoff@t-online.de
www.perspektiven-verein.de